Editorial 7/99



Neulich in der Redaktion...

Das Telefon im Redaktionsbüro klingelt. Es ist Frau Y, die Sekretärin von Herrn X. Herr X ist Redakteur einer renommierten Rundfunk-Fachzeitschrift. „Normalerweise befassen wir uns nicht mit Kurzwellenfrequenzen“, meint Frau Y, „doch wir haben auf den Internet-Seiten der ADDX einen deutschsprachigen Hörfahrplan gefunden, aus dem wir gerne Auszüge für unsere nächste Heftnummer übernehmen würden, natürlich mit korrekter und vollständiger Quellenangabe. Ist das möglich?“ Schön, dass man den dortigen Copyright-Hinweis beachtet hat, ist mein erster Gedanke. „Ja, prinzipiell ist eine Übernahme von Teilen des Datenbestandes nach Rücksprache mit den Redakteuren schon möglich, doch gerade in diesen Tagen stellen fast alle internationalen Auslandsdienste ihre Sendezeiten und Frequenzen auf den Sommersendeplan um. Es ist abzusehen, dass sich viele Angaben im Hörfahrplan ändern werden. Wir sind gerade dabei, durch Programmbeobachtungen, per eMail, Telefon und Fax Kontakt zu allen nur möglichen Stationen aufzunehmen, um an die neuen Angaben der Sender zu kommen. Bis der definitive Hörfahrplan steht, werden noch ca. 1-2 Wochen vergehen“, sage ich. „Ich werde es unserem Chefredakteur ausrichten“, meint Frau Y freundlich.

Dreißig Minuten später: das Telefon klingelt erneut. Wieder meldet sich die höfliche Stimme von Frau Y. „Ich habe mit unserem Redakteur gesprochen, er meint, die Aktualität sei nicht so wichtig. Könnten wir die Daten von Ihnen haben? Wir haben den Platz dafür in unserer Mai-Ausgabe bereits reserviert!“ Ich bin verwirrt. Habe ich mich beim vorigen Telefonat nicht klar genug ausgedrückt? „Sicher ist es möglich, die Daten zu übernehmen, doch gerade jetzt stellen alle Auslandsdienste ihre Sendezeiten und Frequenzen um. Von den uns derzeit vorliegenden Daten werden mindestens 90% ab Ende März nicht mehr stimmen. In 1-2 Wochen steht der aktuelle Sommer-Hörfahrplan, dann ist das Datenmaterial aktualisiert und zuverlässig, jetzt aber noch nicht. Es ist doch bestimmt auch in Ihrem Sinne, wenn Sie korrekte Daten veröffentlichen und keinen überholten Wintersendeplan“, sage ich. Frau Y hat’s begriffen: „Ich rede noch mal mit unserem Chefredakteur“.

Zehn Minuten später: wieder klingelt das Telefon. Frau Y ist dran: „Ich soll Ihnen von Herrn X ausrichten, dass er sich die Daten anderswo besorgen wird. Vielen Dank für Ihre Mühe.“ Mein Kommentar: „Auch wir möchten nicht als Quellenangabe für veraltetes Datenmaterial genannt werden. Sonst bringt man uns noch mit einem zu 90% fehlerhaften Hörfahrplan in Verbindung und das kann nicht in unserem Sinne sein“. Ja, Frau Y versteht, doch ihr Chef offensichtlich nicht. Der hat wohl nur seine leere Heftseite vor Augen und ihm ist ziemlich egal, womit er sie füllt, solange sie nur endlich voll wird.

Obige Episode ist kein Aprilscherz. Sie hat sich am 11. März 1999 tatsächlich in unserem Düsseldorfer Redaktionsbüro zugetragen. Sachen gibt’s...

Michael Schmitz