Editorial 8/2003

Etikettenschwindel

Am 26. März entschied der Stiftungsrat des Österreichischen Rundfunks (ORF) über die Zukunft des österreichischen Auslandsrundfunks. Mehrheitlich angenommen wurde ein sogenannter „Kompromissvorschlag“, der de facto die Einstellung von Radio Österreich International (ROI) zum 30. Juni 2003 zur Folge hat. Ab diesem Zeitpunkt sollen auf den Kurzwellenfrequenzen nur noch die Kulturprogramme des Inlandsdienstes Ö1 übertragen werden, ergänzt durch kurze englischsprachige Programmsegmente, die von FM 4 übernommen werden. Der Kurzwellenkanal soll den Namen „Radio Österreich 1 International“ bekommen und wird in den Pressemitteilungen des ORF schon als „Europas bestes Kulturprogramm“ bejubelt.

Ö1 hat zahlreiche überaus hörenswerte Programme im Angebot und schon in den vergangenen Jahren bestanden große Programmstrecken von ROI aus Übernahmen aus dem Inlandsdienst. Doch: Was die Alpenrepublik ab Juli 2003 ihren Hörern im Ausland und in Übersee senden wird, hat den Namen „Auslandsdienst“ nicht verdient. Die Aufgaben eines Auslandsdienstes unterscheiden sich grundsätzlich von denen eines für's heimische Publikum produzierten Inlandsprogramms. Bei der jetzt gefundenen Lösung handelt es sich um eine weltweite Versorgung von Auslandsösterreichern mit heimischen Hörfunkprogrammen. Bei Hörern, die des Deutschen mächtig sind, die aber nicht aus Österreich stammen, wird sich spätestens beim Hören der Nachrichtensendungen größtenteils Unverständnis breit machen, weil die dort gesendeten Meldungen nicht entsprechend aufbereitet werden und dem ausländischen Hörer zum Verständnis das nötige Hintergrundwissen fehlt. Die Vermittlung dieses Hintergrundwissens ist die wichtigste Aufgabe eines Auslandsdienstes. Und sie ist bei einer weltweiten Ausstrahlung des Inlandsprogramms Ö1 auf Kurzwelle nicht gegeben.

Es ist Etikettenschwindel, einen solchen Sendebetrieb als „Auslandsdienst“ zu bezeichnen und es zeigt den Hörern weltweit, welche Bedeutung die österreichischen Entscheidungsträger der Außendarstellung ihres Landes im Hörfunk beimessen: gar keine!

In dieser Ausgabe befassen wir uns ausführlicher mit der Entscheidung des ORF-Stiftungsrats. Ab Seite 8 geben wir einen Einblick in österreichische Pressestimmen und auf Seite 10 hat unser Mitarbeiter Andreas Erbe einmal recherchiert, um wen es sich bei den Mitgliedern dieses auf dem Papier „unabhängigen“ Stiftungsrats eigentlich handelt.

Redaktion